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Nabokov, Benjamin und Sharapova – einige philatelistische Marginalien

Posted in Literatur, Sonstiges by Ben on Dezember 9, 2009

„Most of all Martin felt sorry for the originality of the deceased, who was truly irreplaceable – his gestures, his beard, his sculpturesque wrinkles, the sudden shy smile, the jacket button that hung by a thread, and his way of licking a stamp with his entire tongue before sticking it with his fist. In a certain sense this was all of greater value than the social merits for which there existed such easy little clichés, […]“ – Vladimir Nabokov, Glory. Ausgabe Penguin Classics, 2006,  S. 117)

Vladimir Nabokovs früher Roman „Glory“ (geschrieben 1930 , Originaltitel: Подвиг, Deutsch: Die Mutprobe) ist schon für sich genommen eine Perle der Literatur. Wirklich spannend wird es jedoch, wenn man den Spuren folgt, welche die postalischen Elemente innerhalb des Romans auslegen. Die eingangs zitierte Passage fällt ein wenig aus dem Rahmen, da sie nicht die Hauptperson Martin Edelweiss per Postkarte oder Brief mit anderen Protagonisten verbindet, sondern die Beschreibung eines Dritten enthält. Im 35sten Kapitel des Buches beschreibt Nabokov Martins Sicht auf die Würdigung eines Verstorbenen im Emigrantenmilieu Berlins der 1920er Jahre. Beim Lesen des Nachrufs überkommt die Hauptfigur der Gedanke, wie eitel und nutzlos und vor allem austauschbar derartige Würdigungen sind, wie sie die eigentlichen Besonderheiten eines Menschen verfehlen und ihn stattdessen im Dienst einer Sache egalisieren. Martin beschließt daraufhin, sich jeder politischen Parteinahme zu entziehen und setzt dies schließlich in einer unglaublichen und bewunderswert nutzlosen Form um.

Abgesehen von der Erinnerung an den Briefmarken klebenden und hämmernden Iogolevich finden sich zahlreiche Erwähnungen des Abschickens, Erhaltens und Lesens von Briefen. Die faszinierenste und in der Rückschau vielleicht ergreifenste Stelle markiert der Brief, den Martin im Kapitel 18 aus Cambridge an seine Mutter sendet und mit der die Beschreibung des Briefeschreibtätigkeit Martins einsetzt – ein Bild das einen der vielen Fäden durch den Roman zieht.

„He scribbled ten lines or so […] Suddenly, in his mind, he saw the mailman walking across the snow; the snow crunched slightly, and blue footprints remained on it. He described it thus: ‚ My letter will be brought by the mailman. It is raining here.‘ He thought it over and crossed the mailman, leaving only the rain. He wrote out the address in a large and careful hand, […] He inadvertently made a blot in a corner of the envelope. He squinted at it for a long time, and finally made it into a black cat seen from the back. Mrs. Edelweiss preserved this envelope along with his letters. She would gather them into a batch at the end of each semester and tie them crosswise with a ribbon.  Several years later she had occasion to reread them. The first-semester letters were relatively abundant.  […] and her was a letter with the crossed-out but distinctly legible line ‚My letter will be brought by the mailman.‘  Mrs. Edelweiss recalled with piercing clarity how she used to walk with Henry along the scintillating road between fir trees weighted down by lumps of snow, and suddenly there was the rich tinkling of multiple bells, the postal sleigh, the letter, and she hastened to take off her gloves in order to open the envelope.“ (S. 59f.)

Galanter wurde selten in der Literaturgeschichte durch die Formulierung einer Zeile und die Beschreibung der Ankunft eines Briefes eine Handlungsstrang derart über 20 Kapitel hinweg mit einer Randbemerkung („Mehrere Jahr später..“) angedeutet. Und der klingelnd durch den Schnee einer Schweizer Bergidylle hastende Postschlitten ist zusätzlich ein wunderschönes Motiv.

Die Sehnsucht seiner Mutter reproduzierend, die in den banalen Zeilen ihres Sohnes dessen Glück abgesichert zu sehen versucht, liest Martin im Kapitel 27 die Postkarte seiner vergeblichen Liebe Sonia. Spannend ist die indirekte Vorwegnahme des gescheiterten postalischen Grußes zwei Seiten zuvor. Sonias Familie, die Emigrantenfamilie Zilanov, räumen gerade nach einem Schicksalsschlag ihren Hausstand zusammen, um nach Berlin überzusiedeln. Martin stolpert zufällig in das Geschehen und steht mehr im Weg, als dass er etwas Sinnvolles beitragen kann. Vielmehr bahnt sich eine Aussprache mit Sonia an, die von ihrem Vater gestört wird, der mit den Worten „Didn’t I say to leave my desk alone? Now the ashtray has disappeared, it had two stamps in it.“ (S.95) ins Zimmer platzt und gleich wieder verschwindet. Danach ist mit den Briefmarken im Aschenbecher das Motiv scheinbar verschwunden. Kurz darauf – in der Handlung eine Woche später – erhält Martin jedoch Post von Sonia, „a postcard with a view of the Brandenburg Gate crossed by Sonia’s spidery handwriting, which he spent a long time deciphering, trying in vain to read a hidden meaning into trivial words.“ (S.98). Selbstverständlich muss sie für die Ansichtskarte aus Deutschland eine andere Marke verwendet haben, als sie in London nötig gewesen wäre. Dennoch scheint der Leser durch die Erwähnung gerade der fehlenden Postwertzeichen vorbereitet. Wie seine Mutter in der Lektüre seiner Briefe eigentlich nichts von Belang entdecken konnte, sie aber wieder und wieder las, sucht auch Martin in der Botschaft seiner unerwidert Geliebten nach einem Inhalt, den es schlicht nicht gibt. Die zwei Marken in London mögen zufällig in das Kapitel geraten sein. Sie unterstreichen aber mindestens ein weiteres Mal die Bedeutung des Postverkehrs für die Kommunikation der Figuren in diesem Roman.

Im Kapitel 34 erhält er eine weitere Karte von Sonia. Mit dieser antwortet sie auf einen Brief, in den Martin, immer noch an die Möglichkeit einer Wechselseitigkeit der Zuneigung glaubend, augenscheinlich viel Hoffnung setzte, der aber mit der Plattheit der Replik nahezu bloßgestellt, in jedem Fall missachtet wird:

„He wrote her a letter, and stayed away for several days. She replied a week or so later with a color postcard showing a pretty boy bending over the back of a green bench on which sat a pretty girl, admiring a bouquet of roses, with a German rhyme in gilt letters at the bottom: ‚Let a true heart leave unsaid what is told by roses red.‘ On the reverse Sonia had scribbled: ‚Aren’t they sweet? That’s real courtship for you. Look, I need your assistance, three strings have snapped on my racket.‘ And not a word about the letter.“ (S.119)

Doch: Kartenmotiv, Reim und jedes Wort sind auf den Brief gerichtet. So aufrichtig Martin zu lieben glaubt, um sich später auf eine harte Form von der Zuneigung zu Sonia zu emanzipieren, so sehr demütigt sie ihn, indem sie ihn auf eine ihm unzugängliche vulgär-kitschige Romantik als Ideal stößt und im gleichen Augenblick seine Hilfe für den profanen Dienst der Reparatur eines Tennisschlägers beansprucht. Hätte sie ohne dieses Problem überhaupt auf den vermutlich herzblutligen Brief reagiert?

Eine weitere sehr schöne Stelle findet sich im Kapitel zu Martins Frankreich-Aufenthalt. Dort versuchte er ein alternatives Leben und es gelang ihm temporär. Seiner Mutter als verbliebener realer Fixpunkt seiner Existenz schreibt er aus dem Postamt eines Dorfes namens Molignac eine Postkarte, die sie anscheinend über den Aufenthalt dort informieren soll. Den genauen Inhalt verschweigt Nabokov. Er beschleunigt aber die Handlung mit einem perfekt platzierten Nachsatz: „That postcard was the first of a new little batch of letters which Mrs. Edelweiss stored in her chest of drawers: the penultimate batch.“ (S.132)

Ein letztes Mal rücken Postkarten ins Zentrum der Handlung, als Martin seine Mutprobe, die aus einem so grundlosen wie illegalen und angesichts der sowjetischen Sabotage-Paranoia hochgradig gefährlichen Übertritt über die sowjetische Grenze besteht, auszuführen beginnt. Noch einmal ist Berlin Startpunkt. Die Postkarten sind Teil einer postalischen Charade. Um seine „Mission“ geheimhalten zu können, benötigt Martin eine glaubhafte Tarngeschichte für die wenigen Menschen, die sich um ihn sorgen und damit seine Mission gefährden könnten. Besonders geht es ihm um seine Mutter. Den in Berlin wohnenden Zilanovs erzählt er, dass er in einer Fabrik arbeiten und nicht erreichbar sein wird.  Seiner Mutter schreibt er, dass er nichts zu schreiben habe und sich daher auch vorerst nicht melden wird. Interessant ist, dass ihm die Form des Mediums bei seinem Wunsch, nichts zu sagen, entgegen kommt: „Space on the postcard was limited, his handwriting was large, so he did not manage to say much.“ (S. 160) Für die kommenden Wochen schreibt Martin vier Postkarten an seine Mutter vor, die er einen guten Freund aus Cambridge im Wochenabstand einzuwerfen bittet und die ihm das von ihm angenommene Zeitpolster gewähren sollen. Dreimal wird sich Darwin, der Freund, mit widerstrebendem Gefühl daran halten:

„On Thursday morning, with a dreadful feeling that he was taking part in some evil affair, he gingerly inserted the card with the earliest date into the blue mailbox next to the hotel entrance. A week passed; he posted the second card. After that he could not stand it any longer and traveled to Riga, where he visited the British consul, the Swiss consul, the General Registry, the police, but obtained no information whatever. Martin seemed to have dissolved in the air. Darwin returned to Berlin and reluctantly mailed a third postcard.“ (S. 165)

Danach melden sich die Zilanovs, das Verschwinden wird bekannt, Martin bleibt für immer abwesend und der Leser tiefberührt zurück, die postalische Facette für einen Moment vergessend…

Neben dem Brief- und Postkartenmotiv findet sich ein bei Nabokov typisches weiteres Element in „Glory“ (und ist oben bereits durch Sonias gerissene Saiten mit einer nebensächlichen Schnittmenge zur Rolle der Postkarte angedeutet): Tennis. Das zehnte Kapitel enthält beispielsweise die grandiose Beschreibung eines Duells zwischen Martin und Bob Kitson, „a professional from Nice“, der den an sich sehr guten Spieler Martin Edelweiss letztlich mit einem gut gesetzten Lob in die Niederlage zwingt. Ein besseren Service kann die zufällige Verknüpfung, die sich in der Welt so häufig ganz überraschend einstellt, gar nicht aus dem Europa der späten 1920er Jahre in die Gegenwart schlagen.

Denn im hier und heute berichtet der London Evening Standard, dass eine andere russische Persönlichkeit, die allerdings im Gegensatz zu Nabokov tief in Sibirien geborene heutige Weltklassetennisspielerin Maria Sharapova, zauberhafterweise und seit Kindheit einer philatelistischen Ader folgt. Richtig zugetraut hätte man es der gern als tough inszenierten Hochleistungssportlerin nicht. Diese sammelt aber offensichtlich seit ihren frühen Lebensjahren Briefmarken und dies nach eigenem Bekunden besonders auf den Tennisreisen durch die Welt. Und sie hofft, was alle Sammler diese Welt insgeheim hoffen: Dass eines Tages die eigenen Kinder die Sammlung übernehmen.

Und Maria Sharapova ist für die Zeitung nur ein sehr prominentes Beispiel für einen Trend, den alle an der Philatelie Interessierten von ganzem Herzen begrüßen müssen: Die Renaissance des Briefmarkensammelns. Vermeldet der Redaktionsleiter der Deutschen Briefmarken-Zeitung (DBZ) im Editorial zur aktuellen Ausgabe, dass sich die Sondermarken der Post steigender Nachfrage erfreuen und in den Jahrgängen 2003 und 2004 immerhin 2,8 Milliarden dieser Briefmarken verkauft wurden (und was nebenbei leider die gräßliche Erfindung der selbstklebenden Sondermarken aufwertet), so sieht Miranda Bryant (bzw. die Briefmarken verarbeitende Künstlerin Phillipa England) für den Evening Standard im Sammeln von Briefmarken ein adäquates, da vergleichsweise preisgünstiges, Hobby für Zeiten der Rezession. Interessant wäre dazu eine vergleichende Studie. Walter Benjamins so winzige wie legendäre medien-ästhetische Betrachtung des Mediums Briefmarke datiert immerhin auf das Jahr des Berliner Schwarzen Börsenfreitags: 1927. Allerdings endet sein Text auch mit der Feststellung, dass die Zeit der Briefmarke eine auf das zwanzigste Jahrhundert begrenzte ist. Nun denn: Sammler, Nutzer und Postverwaltungen können sich durch solch eine Prophezeiung nur provoziert fühlen und ausziehen, um Benjamins Vorhersage als Irrtum bloßzustellen.

Cuba - Tennismarke 1993

„I’ve just met a girl named Maria, And suddenly that name will never be the same“ – Diese schönen Zeilen werden Serena Williams nach dem Finale in Wimbledon 2004 nicht mehr aus dem Kopf gegangen sein. Wer verliert auch schon gern gegen eine Briefmarkensammlerin. Im Jahr 1993 gewann übrigens Steffi Graf gegen Jana Novotna. Die kubanische Postverwaltung wusste davon aber im Februar noch nichts und widmete daher seine Serie mit Tennisspielern lieber abstrakt dem Davis-Cup (bzw. Copa Davis Tenis de Campo)

Ein Jahrzehnt über die angegebene Lebenserwartung hinaus ist bereits erreicht und die Obstbriefmarken, die ab 02. Januar 2010 Zuschläge für die Wohlfahrtspflege sammeln sollen, sind so gestaltet, dass sie durchaus eine Attraktion auf den allgemeinen Postkunden ausüben. Die angekündigte Aromabeimischung ist dagegen ein Jux, den man eigentlich nur der Österreichischen Post zutrauen würde.

Die Botschaft ist aber eindeutig: Die Briefmarke soll ein modernes, fröhliches und zeitgeistig-originelles Produkt mit eigenständiger ästhetischer Qualität sein. Weniger Freude wird sich dagegen die etwas konzeptionsarm zusammengewürfelt erscheinende Ruhr.2010-Collage erwerben, die ebenfalls am 02.01.2010 erscheinen soll. Die kommt dann auch nicht wie die Obstmarken aus der Bundesdruckerei, sondern wird bei einem Printdienstleister namens „Bagel“ über das Band laufen…

Der aber vielleicht spannenste Fakt des Artikels liegt in der Feststellung, dass sich der Kommunikationsraum des Internets gerade nicht als Totengräber sondern als vitalisierende Instanz für die Philatelie erweisen könnte:

„Dealers say social networking sites and online retailers have made it easier for collectors to discuss their hobby and to buy and sell.“

Aus den geschätzten 50 Millionen Sammlern weltweit könnten so schnell einige mehr werden. Ein Nebeneffekt des Eindringens der Kohorte von Nutzern Sozialer Software in die Philatelie dürfte allerdings auch ein offenerer Umgang mit dem Medium Marke sein. Die aufgeklärten Digital Natives sammeln die Objekte durchaus in dem Bewusstsein, dass selbst gut zusammengestellte Kollektionen in den meisten Fällen keinen Pfifferling, höchstens einen Bovist wert sind. Damit könnten etwas mehr Unbeschwertheit und kreativ-spielerische Ansätze in die nach wie vor eher biedere Sammlergemeinschaft einziehen. Das ist keine schlechte Sache, denn Auffächerung war schon immer die besten Überlebensstrategie. Auch für das Medium Briefmarke.

2 Antworten

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  1. […] das Buch eigentlich ein “Briefroman” ist. (Ein wenig ausführlicher hatte ich mich in dieser Randbetrachtung damit auseinandergesetzt, Kaden, […]


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